Mittwoch, 20. November 2019

MEHR ALS HUNDERT TOTE BEI DEMONSTRATIONEN IM IRAN + Video Clips


In mehr als 100 Städten schlugen die iranischen Sicherheitskräfte weitgehend friedliche Proteste mit unverhältnismässiger Gewalt nieder. Mindestens 106 Menschen wurden dabei getötet.
Aufgrund glaubwürdiger und verifizierter Quellen wie Videomaterial, Augenzeugenaussagen und Informationen von MenschenrechtsverteidigerInnen, muss Amnesty International den Tod von mindestens 106 Demonstrierenden in 21 Städten bestätigen. Amnesty International geht aber davon, dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer viel höher ist. Nicht verifizierte Berichte deuten darauf hin, dass bis zu 200 Menschen getötet wurden, während staatliche Medien nur eine Handvoll Todesopfer unter den DemonstrantInnen sowie den Tod von mindestens vier Mitgliedern der Sicherheitskräfte meldeten.
Mit allen Mitteln
Überprüftes Videomaterial zeigt Sicherheitskräfte, die Schlagstöcke, Schusswaffen, Wasserwerfer und Tränengas einsetzen, um die Proteste zu zerstreuen. Bilder von Patronenhülsen auf dem Boden deuten auf die Verwendung von scharfer Munition hin.
Die Proteste begangen am 15. November aufgrund einer Benzinpreiserhöhung.
«Die iranischen Behörden müssen diese brutale Repression sofort beenden. Die Sicherheitskräfte sind für die Sicherheit der Demonstrantinnen und Demonstranten verantwortlich», sagte Philip Luther, Direktor für Advocacy für den Nahen und Mittleren Osten bei Amnesty International. «Die Häufigkeit, mit der im Iran mit tödlicher Gewalt gegen friedliche Demonstrierende vorgegangen wird, sowie die systematische Straffreiheit für Sicherheitskräfte, die den Tod von Protestierenden zu verantworten hätten, wecken ernsthafte Befürchtungen, dass der vorsätzliche Einsatz von Schusswaffen zur Niederschlagung von Protesten zu einer offiziellen Politik geworden ist.»
In einer Rede am 17. November bezeichnete der Oberste Führer des Iran die Demonstranten als «Verbrecher», die von Konterrevolutionären und ausländischen Feinden des Iran zur Gewalt aufgerufen wurden. Er befahl den Sicherheitskräften, ihre Pflichten zu «erfüllen» die Proteste zu beenden. Damit gab er grünes Licht für die Fortsetzung der brutalen Repression. Nach internationalem Völkerrecht dürfen aber Sicherheitskräfte nur auf den Einsatz tödlicher Gewalt zurückgreifen, wenn dies unumgänglich ist, um Leib und Leben von Dritten zu schützen.
Hunderte von Demonstrierenden blockierten mit ihren Autos die Strassen. Von Amnesty International überprüftes Videomaterial zeigt, wie die Bereitschaftspolizei daraufhin Autoscheiben zerschmetterte, in denen sich noch Fahrer befanden. Laut Augenzeugenberichten, die durch verifiziertes Videomaterial bestätigt werden, schossen Scharfschützen von Dächern und in einem Fall aus einem Helikopter in die Menschenmassen.
Während die meisten Demonstrationen friedlich waren, warf in einigen Fällen eine kleine Zahl von Demonstrierenden Steine; auch wurden Banken und religiöse Bildungsanstalten angezündet. «Selbst wenn eine Minderheit von Demonstrierenden zu Gewalt übergeht, darf die Polizei nicht mehr Gewalt anwenden, als unbedingt notwendig, verhältnismässig und rechtmässig ist. Gewalt, die von einer Minderheit der Protestierenden ausgeht, rechtfertigt keinesfalls, dass allen Demonstrierenden mit Repression begegnet und dabei der Tod von Demonstrantinnen und Demonstranten in Kauf genommen wird», sagt Philip Luther.
Mehrere AugenzeugInnen berichten, dass Sicherheitskräfte Leichen und Verletzte von Strassen und Krankenhäusern weggebracht haben. Bereits bei früheren Massendemonstrationen haben sich die Geheimdienst- und Sicherheitskräfte geweigert, die Leichen der Opfer an ihre Familien zurückzugeben. Manche Familien wurden gezwungen, ihre Angehörigen in aller Eile und ohne eine unabhängige Autopsie zu begraben. Dies steht im Widerspruch zu internationalem Völkerrecht und Standards, die eine Untersuchung von rechtswidrigen Tötungen verlangen.
Über Tausend Verhaftungen
Staatliche Medien berichteten am 17. November, dass seit Beginn der Proteste mehr als 1000 Personen verhaftet worden seien. Zu den Inhaftierten gehört die Menschenrechtsverteidigerin Sepideh Gholian. Sie wurde am 17. November verhaftet, weil sie friedlich ein Schild hielt, auf dem sie die Erhöhung der Benzinpreise kritisierte. Ihr Aufenthaltsort ist derzeit unbekannt. Amnesty International befürchtet, dass sie gefoltert und anderweitig misshandelt werden könnte.
«Personen, die wegen friedlicher Teilnahme an Demonstrationen und der Kritik an den Behörden verhaftet wurden, müssen unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden. Alle Gefangenen müssen vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt werden», sagt Philip Luther.
Internet fast vollständig abgeschaltet
Am 16. November, weniger als einen Tag nach Beginn der Proteste, schalteten die Behörden das Internet fast vollständig ab und verunmöglichen so die Online-Kommunikation für Menschen im Iran. Damit versuchen die iranischen Behörden, Menschen daran zu hindern, Bilder und Videos des Vorgehens der Sicherheitskräften zu teilen. Laut der NGO NetBlocks sind die internationalen Internetverbindungen seit Beginn der Proteste auf 4 Prozent des normalen Niveaus gesunken. Auch Mobilfunknetze wurden abgeschaltet. Nur Personen, die entsprechende Software (VPN) zur Verfügung haben, können noch auf das Internet zugreifen.
«Das Aussetzens des Internets ist ein systematischer Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäusserung und legt nahe, dass die Behörden etwas zu verbergen haben. Die iranischen Behörden müssen unverzüglich alle Beschränkungen für den Zugang zum Internet und zu sozialen Medien aufheben, damit die Menschen Informationen austauschen und ihre Meinung frei äussern können», sagte Philip Luther.
Justiz- und Sicherheitsbehörden haben auch Massen-SMS verschickt, in denen sie den Menschen mit rechtlichen Schritten drohensollten sich nicht von «illegalen Versammlungen» fernhalten.
«Anstatt grünes Licht für das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte zu geben, müssen die iranischen Behörden ihre Sicherheitskräfte zügeln, um weiteres Blutvergiessen zu verhindern. Mit diesen Aussagen der Regierung wird die seit langem herrschende Straffreiheit für rechtswidrige Tötungen und Verletzungen im Iran fortgesetzt. Es sind nun unabhängige unparteiische Kommissionen notwendig, die alle Fälle möglicher willkürlicher und missbräuchlicher Gewaltanwendung untersuchen, und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen», sagte Philip Luther.
«Die Uno und die einzelnen Mitgliedsstaaten müssen das blutige Vorgehen im Iran öffentlich verurteilen. Iran muss unabhängigen MenschenrechtsbeobachterInnen Zugang zu Krankenhäusern und Haftanstalten im Land gewähren und die Blockade des Internets aufheben.»


HINTERGRUND

Am 15. November brachen im Iran Proteste aus, nachdem die Regierung eine Reduktion der Subventionen für Treibstoff ankündigte. Daraufhin schnellten der Treibstoffpreise und damit die Lebenshaltungskosten im Iran in die Höhe. Die Menschen leiden bereits seit längerer Zeit unter der Wirtschaftskrise im Iran. Das trieb die Menschen auf die Strasse. Einige DemonstrantInnen forderten die radikale Änderung des politischen Systems, andere verbrannten Poster der aktuellen und ehemaligen religiösen und politischen Oberhäuptern des Landes.





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ZDF 20.11.2019 



Samstag, 2. November 2019

Regimewechsel im Iran ist unvermeidlich (Amerika muss vorbereitet sein) - Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Oberste Führer stirbt.



Nach fast vierzig Jahren in einer islamischen Republik sind die meisten Iraner müde. Die Proteste, die im Dezember letzten Jahres ausgebrochen sind, dauern immer wieder an, und die Unruhen bei den Arbeitern nehmen zu.
Wenn der Tod von Khamenei die Proteste auf die nächste Ebene hebt und einen Regimewechsel unvermeidlich macht, welche Position würden die USA einnehmen?

Ist Washington bereit, dafür einzutreten, dass der öffentliche Dienst der Islamischen Republik bestehen bleibt, um sicherzustellen, dass Veränderungen ihre finanzielle Sicherheit nicht beeinträchtigen und vielleicht sogar einen positiven Regimewechsel katalysieren?

Der Iran erlebt einen Wandel, der jedoch nichts mit dem Rückzug der USA aus dem gemeinsamen umfassenden Aktionsplan (auch als Iran-Deal bezeichnet) oder dem Sanktionsregime der Trump-Regierung zu tun hat.
Während die politischen Entscheidungsträger der USA über Kooption und Zwang diskutieren, um die besten Strategien zur Änderung des iranischen Verhaltens zu finden, sind weder die Trump-Regierung noch ihre Opposition darauf vorbereitet, dass das Regime die Gesichter des Iran ändert: Der Tod des Obersten Führers Ali Khamenei.
Der oberste Führer ist die ultimative Macht im Iran. Konstitutionell ist er der Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte. Theologisch ist er auch Nayeb-e Imam (Stellvertreter des Messias).
Während sich die Diplomaten auf die gewählten iranischen Führer und ihre Beauftragten konzentrieren - zum Beispiel Präsident Hassan Rouhani und Außenminister Mohammad Javad Zarif - monopolisiert der oberste Führer alle wesentlichen Entscheidungen. Er regiert fürs Leben.
Khameneis Leben nähert sich dem Ende. 2014 wurde Khamenei wegen Prostatakrebs operiert.
Die Behörden verwendeten Khameneis Konto, um ein Foto des höchsten Führers im Krankenhaus zu twittern, wahrscheinlich ein Versuch, die iranische Öffentlichkeit auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Khamenei erholte sich, aber heute ist er 79 Jahre alt, und das Alter fordert seinen Tribut.
So ist auch das Erbe eines Attentats von 1981. Wenn Khamenei stirbt - ob in einem Monat, einem Jahr oder fünf Jahren -, wird die Islamische Republik mit einer beispiellosen Krise konfrontiert sein.
Die drohende Erbfolgekrise des Iran
Seit der Islamischen Revolution von 1979 gab es nur einen Übergang. Der Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini starb am 3. Juni 1989. Der Amerikaner erinnerte sich vielleicht an Khomeini als einen nicht reuigen Revolutionär, der durch Antiamerikanismus motiviert war, aber er war auch ein Mann von tiefem religiösem Ansehen.
Als im Jahr 1988 die Politik und theologische Auseinandersetzungen den Großartigen Ayatollah Hussein-Ali Montazeri zur Seite drängten, wurde Khamenei Khomeinis Stellvertreter und natürlicher Nachfolger.
Khamenei war ein Kompromisskandidat, ein schwacher Mann, der ausgewählt wurde, weil er für große politische Fraktionen akzeptabel war.
Er genoss nie den religiösen Respekt, den Khomeini hatte. Als die iranische Regierung 1994 vorschlug, Khamenei sollte von Schiiten weltweit als bester schiitischer Gelehrter anerkannt werden, wurde er im Grunde genommen von der Bühne geworfen und ausgelacht gezwungen, sich zurückzuziehen.
Im Kontext der Islamischen Republik könnte Khamenei jedoch durch die Segnung durch Khomeini legitimiert werden.
Der bevorstehende Übergang wird jedoch anders sein. Während theoretisch die 88-köpfige Expertenversammlung den neuen obersten Führer auswählt, zeigt der Übergang von 1989, dass sie kaum mehr als eine Gummistempel-Körperschaft sind, und billigt den Kompromisskandidaten, den die verschiedenen Machthaber der Islamischen Republik vorgeschlagen haben.
In den drei Jahrzehnten seit dem letzten Übergang hat sich das Gleichgewicht dieser Machtzentren jedoch verschoben.
Das Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC) zum Beispiel ist weitaus mächtiger geworden und kontrolliert weit über 20 Prozent der iranischen Wirtschaft.
Viele der Gründungsväter der Islamischen Revolution sind auch nicht mehr übrig. Der frühere Präsident Ali Akbar Hashemi Rafsanjani starb vor fast zwei Jahren. Der Vorsitzende des Expediency Council und ehemalige Justizchef Mahmoud Hashemi Shahroudi leidet Berichten zufolge an Hirntumor.
Während Khamenei 1989 von Khomeinis Segen vor dem Tod profitierte, hat Khamenei weder das Ansehen noch das Charisma, um sicherzustellen, dass seine Wahl, wer auch immer sie sein mag, die unvermeidlichen Kämpfe überlebt.
Es gibt andere Szenarien, die die Nachfolge erschweren könnten. Anders als zum Beispiel in Oman, wo ein Zeitplan für die Wahl eines neuen Sultans nach dem Tod von Sultan Qaboos bin Said festgelegt ist, gibt es keinen verfassungsmäßigen Zeitplan für das Treffen der iranischen Expertenversammlung, was Unsicherheit schafft und Gruppen wie der IRGC die Möglichkeit gibt, sich zu konsolidieren Steuerung.
Wenn die Expertenversammlung zusammentritt, es jedoch keinen einzigen Konsenskandidaten gibt, kann die Oberste Führung möglicherweise einem Rat anstelle einer Einzelperson übertragen werden. Khomeini unterdrückte diese politisch-theologische Debatte, löste sie jedoch nicht auf und konnte sie mit aller Macht wieder aufnehmen.
Für die Islamische Republik würde ein Führungsrat jedoch die Instabilität verschärfen, da der Fraktionskampf auf eine neue Ebene gehoben wird.
Die Entscheidungen, die den Iran nach Khamenei prägen werden
Der Regimewechsel hat sich zu einem belastenden Begriff entwickelt, insbesondere in den fünfzehn Jahren nach dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein durch eine US-Invasion. Wenn Khamenei jedoch stirbt, ist dies im Iran unvermeidlich.
Leider sind die Vereinigten Staaten nach wie vor äußerst unvorbereitet.
Wie werden die Vereinigten Staaten beispielsweise reagieren, wenn Infighting zu einem Bürgerkrieg im Iran führt?
Das scheint weit hergeholt zu sein, aber vor nicht allzu langer Zeit auch der Bürgerkrieg in Libyen, Syrien und Jemen.Vielleicht wäre das Alptraumszenario, dass die Revolutionsgarden opportunistisch die Macht ergreifen. Das Ergebnis wäre nicht einfach eine Militärdiktatur, sondern eine ideologische, die mit Milliarden von Dollar ausgestattet ist und selbst den begrenzten Schecks, die der Rest des heutigen iranischen Systems bereitstellt, nicht gewachsen ist.
Als das US SEAL Team Six den Anführer der Al-Qaida, Osama Bin Laden, besiegte, konkurrierten aufstrebende Anführer miteinander, um spektakuläre Angriffe durchzuführen.
Bald müssen sich die Vereinigten Staaten und Europa möglicherweise nicht nur um klerikale Fraktionen sorgen, sondern auch um IRGC-Fraktionen.
Gibt es eine Strategie, um bestimmte Fraktionen zu kooptieren, andere zu neutralisieren oder IRGC-Ambitionen gänzlich auszublenden?
Wäre Washington beispielsweise bereit, korrupten IRGC-Führern diplomatische und finanzielle Immunität zu garantieren, wenn sie ihre Familien in Moskau, Istanbul oder Baku ins Exil schicken und Milliarden veruntreuen würden?
Nach fast vierzig Jahren in einer islamischen Republik sind die meisten Iraner müde. Die Proteste, die im Dezember letzten Jahres ausgebrochen sind, dauern immer wieder an, und die Unruhen bei den Arbeitern nehmen zu. Wenn der Tod von Khamenei die Proteste auf die nächste Ebene hebt und einen Regimewechsel unvermeidlich macht, welche Position würden die USA einnehmen?
Ist Washington bereit, dafür einzutreten, dass der öffentliche Dienst der Islamischen Republik bestehen bleibt, um sicherzustellen, dass Veränderungen ihre finanzielle Sicherheit nicht beeinträchtigen und vielleicht sogar einen positiven Regimewechsel katalysieren?
In den USA lebt die freieste und wohlhabendste iranische Gemeinde der Welt. Iranisch-Amerikaner sind Humankapital, das in der Lage ist, den Iran beim Übergang zu unterstützen, selbst wenn sie zuerst ihre Träume aufgeben müssen, die iranischen Beamten, die unter der Islamischen Republik entstanden sind, zu regieren oder zu ersetzen.
Aber was hat das Weiße Haus oder das Außenministerium unternommen, um sie zu organisieren und zu sammeln?
Ein Referendum leitete die Islamische Republik ein. Würde Washington ein Referendum unterstützen, um eine konstitutionelle Demokratie wie den Iran wiederherzustellen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts kurzzeitig bestand?
Wie würde der Wortlaut dieser Referendumsfrage lauten? Würden die Vereinigten Staaten eine Verfassungskonvention für den Iran unterstützen? Wenn ja, unter welchen Parametern?
Es ist gut und schön für Demokraten und Republikaner, über die Vergangenheit und sogar das Hier und Jetzt hinwegzusehen. Aber es ist die Zukunft, die die Trump-Administration und ihre Nachfolger am meisten beschäftigen sollte.
Es gibt keinen Grund, warum es keinen überparteilichen Konsens über eine Strategie geben kann, um die unvermeidliche Herausforderung, der sich die Iraner nach Khameneis Tod gegenübersehen, in das bestmögliche Ergebnis für die Iraner und den Frieden und die Sicherheit in der Region zu lenken.
Es geht nicht nur um die Bedrohung durch den iranischen Terrorismus, sein Programm für ballistische Raketen und die Stabilität im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen, sondern auch um die Freiheit für einundachtzig Millionen Menschen und die Umwandlung eines Paria-Staates mit einer funktionsgestörten Wirtschaft in ein finanzielles Kraftpaket.
Hoffen wir, dass Washington nicht so unvorbereitet ist, wie es jetzt zu sein scheint.
Michael Rubin ist Stipendiat am American Enterprise Institute. Dieser Artikel erschien zum ersten Mal im letzten Jahr.
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Masumeh Ebtekar als Geiselnehmerin mit eine Waffe im Hand. 4.Nov 1979

Masumeh Ebtekar als iranischen Kabinett Mitglied triet die USA Flagge unter die Füssen










Sonntag, 20. Oktober 2019

Die Karte, mit der in Nahost heute wohl Frieden herrschen würde

Wie würde der Nahe Osten ohne die «blutigen Grenzen» aussehen, die die Kolonialmächte Grossbritannien und Frankreich gezogen haben? Eine imaginäre Karte eines Amerikaners gibt Antwort.
Die Wurzel allen Übels im Nahen Osten? Sie liegt im Westen – genauer gesagt in Paris und London: Hier haben die Herren Mark Sykes und Francois Georges-Picot im Jahr 1915 Grenzen gezogen, die heute noch gültig sind – und in der Regel sind sie auch der Grund für blutige Konflikte zwischen den Nachbarn.
Stellt sich die Frage: Wussten die Diplomaten nicht, dass ihre Linien auf der Karte, die das Osmanische Reich filetieren, für Hass und Tod sorgen würden? Die Antwort: Natürlich wussten sie das – und sie haben das sogar in ihr Kalkül miteinbezogen.
Insbesondere Frankreich setzte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf eine Politik, die Minderheiten gegen andere Ethnien oder Religionen ausspielt. Im Libanon werden die Christen zu Paris’ Statthalter, in Syrien sind es die Alewiten, aus deren Sippe auch der Assad-Clan stammt.

Die Karte, nach der Sykes und Picot bei Verhandlungen 1915 den Nahen Osten aufteilen: Zone A und die blaue Zone werden von Frankreich beansprucht, Zone B und das rote Gebiet sind britisch, Palästina wird von beiden Parteien verantwortet.
Karte: Gemeinfrei

In der Arabischen Revolte haben sich zwar mehrere Stämme gegen die Osmanische Herrschaft aufgelehnt, und auch die Kurden kämpfen unermüdlich gegen die Hohe Pforte, doch die versprochene Autonomie oder Unabhängigkeit erhielten diese Völker nach dem Ersten Weltkrieg nicht. Das eigentlich geheime Sykes-Picot-Abkommen wird 1917 bekannt, weil die Sowjets es nach der Oktoberrevolution veröffentlichen.
Die damalige Grenzziehung hat in den letzten 103 Jahren für zahllose Tote gesorgt. Die Bürgerkriege im Libanon in den 90ern und in Syrien seit 2011 sind darin ebenso begründet wie der Erste Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran oder der aktuelle Konflikt zwischen dem Jemen und Saudi-Arabien.
Und selbst der Zweite Golfkrieg, der Saddam Hussein Macht und in der Folge das Leben kostete, hat etwas mit dem Sykes-Picot-Abkommen zu tun. Der irakische Diktator hatte seine Invasion in Kuwait nämlich damit begründet, dass das Scheichtum eigentlich nicht eigenständig sei.
Der historische Hintergrund: Das Deutsche Reich hatte Großbritannien mit dem Bau der Baghdad-Bahn ins Schwitzen gebracht. Diese sollte am Persischen Golf an einer deutschen Kohlestation enden, was London um die Sicherheit seines Seeweges nach Indien bangen ließ.
Die Kolonialmacht warb also kurzerhand um die Gunst eines lokalen Scheichs: Im Gegenzug für dessen Zusage, nicht mit den Deutschen zu kooperieren, wurde ihm 1899 die Unabhängigkeit versprochen – und in diesem Fall auch gewährt. Das wollte Saddam Hussein 1990 rückgängig machen, doch das machte ihn selbst zu einer Fußnote der Geschichtsbücher.
Wie widersinnig die heutigen Karten vom Nahen Osten sind, hat am plastischsten ein Amerikaner im Jahr 2006 aufgezeigt. Der Auslöser für den Artikel «Blutgrenzen», der vor 13 Jahren im «Armed Forces Journal» erschienen ist, war ein Kommentar in der «New York Times», in dem sich der Autor Robin Wright eine Neuaufteilung des Nahen Ostens ausdenkt – für den Fall, dass die Rivalitäten in Ländern wie Libyen, Syrien oder dem Jemen in Kämpfe ausarten könnten.

Ausriss der «New York Times» von 2006.
Screenshot: NYT

Lieutnant Colonel Ralph Peters machte es wie die «New York Times», doch er tat es konsequenter: Seine Karte des Nahen Ostens schließt Kaukasus und Vorderindien mit ein und teilt den Nahen Osten relativ konsequent so ein, dass Ethnien und Religionen einheitlich sind.

Die imaginäre Karte eines friedlicheren Nahen Ostens.
Karte: Ralph Peters/AFJ

Peters’ Karte schlug ein: Bei weitem habe kein Artikel mehr Anklang gefunden als dieser, so das «Armed Forceds Journal». Kein Wunder – wer die Karte sieht, dem kommt der Gedanke: Mein Gott – es könnte alles so einfach sein …

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Die Karten von Belutschistan von vor ungefähr 186 Jahren bis heute und in der Zukunft.













In der Zukunft.???









Freitag, 13. September 2019

Ist eine Demokratisierung des Iran möglich?




Im Vielvölkerstaat Iran werden Minderheiten diskriminiert und verfolgt
Am 26. Februar 2016 fanden in der Islamischen Republik Iran (IRI) Parlamentswahlen statt. Von etwa 77 Millionen Iranern waren rund 55 Millionen wahlberechtigt. Seit dem Sturz des Schah-Regime im Jahre 1979 wählten die Iraner zum zehnten Mal ein neues Parlament.
Wie viele Menschen tatsächlich an die Wahlurnen gegangen sind, ist nicht bekannt. Offizielle Stellen sprechen von einer Wahlbeteiligung von über 70%, diese Angaben können jedoch nicht überprüft werden. Nach meinen persönlichen Gesprächen mit Kurden aus dem Iran wurde deutlich, dass in mehrheitlich kurdischen Gebieten nur sehr wenige zur Wahl gingen. Von den 290 vorgesehenen Sitzen seien 95 bis 98 an die sogenannten "Reformer" um den Staatspräsidenten Hassan Rohani gegangen. Die Konservativen, die den rehber-ê ênghêlab (Oberste Religionsführer) Ajatollah Ali Chamenei unterstützten, hätten 103 Mandate erhalten. 15 Sitze sollen die "Unabhängigen" gewonnen haben.
Vor allem in den "nicht-persischen Regionen", wie in Iranisch-Kurdistan im Nordwesten des Landes, treten Angehörige der ethnischen und religiösen Minderheiten als unabhängige Kandidaten zur Wahl an. Nach einer Quotenregelung erhielten die Assyrer/Chaldäer, Armenier, Zoroastrier und Juden nach bisherigen Ergebnissen fünf Sitze im iranischen Madschles (Parlament). Für die Vergabe der restlichen 69 Sitze muss noch eine Stichwahl stattfinden.
Es ist bekannt, dass der Iran ein Vielvölkerstaat ist und die nicht-persischen sowie die nicht-schiitischen Volksgruppen mindestens die Hälfte der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachen. Volksgruppen wie die Aseri, Kurden, Araber (Ahwazi), Belutschen, Turkmenen, Assyrer/Chaldäer, Armenier, Juden, Zoroastrier, Baha'i sowie andere kleinere ethnische und religiöse Minderheiten werden im Iran nicht als eigenständige Volksgruppen mit eigener Sprache, Religion und Kultur anerkannt. Sie alle erfahren mit unterschiedlicher Intensität Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung.
Gruppen, allen voran Baha'i und die sogenannten "Neuen Christen" (Konvertierte) sowie Individuen mit von der Staatsreligion des schiitischen Islam abweichenden Weltanschauungen werden nicht selten willkürlich beschuldigt, Spione ausländischer Mächte zu sein und zu Staatsfeinden erklärt. Auch Derwische, Yaresan und Sunniten werden oft als nicht korrekte Muslime angesehen und diskriminiert.
Die Grundlage für diese gruppenspezifische Benachteiligung und Herabwürdigung ist ein in der iranischen Verfassung verankerter Grundsatz, der eine vollständige Übereinstimmung aller gesetzlichen Anordnungen mit dem islamischen Recht, dem schiitischen Islam, festschreibt.
Auch die Verhängung und Vollstreckung von immer mehr Todesstrafen und die langjährige Inhaftierung Oppositioneller beruhen oft auf dieser Grundlage. So soll jeder Iraner - ob Perser, Kurde, Ahwazi, Belutsche, Aserbaidschaner, Turkmene, Baha'i oder Christ - die Macht des Systems in Teheran spüren. Keiner soll es wagen, die Macht der Mullahs in Frage zu stellen. Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) ist die Zahl der Hinrichtungen nach Amtsantritt von Präsident Hassan Rohani Anfang August 2013 um 20 Prozent gestiegen.

Verfolgung von Minderheiten

Den Vereinten Nationen zufolge wurden 2014 im Iran mindestens 753 Menschen hingerichtet. Im ersten Quartal 2015 waren es bisher schon mindestens 252. Es könnten aber sogar deutlich mehr sein, denn die meisten Exekutionen werden geheim vollzogen. So wurden 2014 offiziell nur 268 Exekutionen bekannt gegeben. 13 der Hingerichteten waren noch minderjährig.
Auch Mitglieder ethnischer Minderheiten werden Opfer geheim vollzogener Hinrichtungen. Zwischen Juli und Oktober 2013 wurden 27 Belutschen hingerichtet. Im Oktober und November des gleichen Jahres wurden drei Kurden exekutiert, weil sie angeblich eine "Gefahr für die nationale Sicherheit" darstellten. Zuletzt wurden Anfang März 2015 sechs Kurden erhängt. In allen Fällen wurden noch nicht einmal die Anwälte über die Hinrichtungen informiert.
Mindestens 895 Menschen saßen nach Angaben iranischer Menschenrechtsaktivisten im Januar 2014 aus politischen Gründen im Gefängnis. 379 von ihnen hatten sich politisch engagiert, 292 waren aufgrund religiöser Aktivitäten zu Haftstrafen verurteilt worden. 92 waren Menschenrechtler, von denen sich 50 Personen ausdrücklich für die Rechte ethnischer Minderheiten eingesetzt hatten, 71 Bürgerrechtler, 37 Journalisten und Blogger sowie 24 Studentenaktivisten. Mindestens 301 dieser Gefangenen gehörten religiösen Minderheiten an: 136 Inhaftierte waren Baha’i, 90 Sunniten, 50 Christen, 19 Derwisch-Muslime, vier Yarasan und zwei Zoroastrier.
Im Jahr 2015 ging die Verfolgung der "Neuen Christen", die besonders im Fokus der iranischen Behörden stehen, unvermindert weiter. "In den letzten fünf Jahren wurden fast alle christlichen Gemeinden geschlossen, die ihre Gottesdienste in Farsi gehalten hatten, und die Leiter der Gemeinden wurden verhaftet… Mindestens 108 Christen wurden bis November 2015 verhaftet und/oder kamen ins Gefängnis".
Die Lage der "Neuen Christen" im Iran ist nur mit der der Baha'i-Minderheit zu vergleichen. Im Gegensatz zu den altansässigen Christen wie den Assyrern/Chaldäern und Armeniern sind die "Neuen Christen" und Baha'i im Iran "vogelfrei":
Regierungsnahe Medien wie die Teheraner Tageszeitung "Keyhan" veröffentlichen im Rahmen gezielter Kampagnen diffamierende Berichte über die Baha'i und ihre Religion. Von Menschenraub und rituellen Bluttaten an Kindern ist darin die Rede. Mehr als 6300 solcher Veröffentlichungen, die Hass gegen Baha'i schüren sollen, sind seit dem Amtsantritt von Präsident Rohani in den staatlichen Medien erschienen.
Deutschlandfunk
Seit dem 14. Mai 2008 sitzen sieben Mitglieder des ehemaligen informellen Führungsgremiums der iranischen Baha'i - Frau Mahvash Sabet, Frau Fariba Kamalabadi, Herr Jamaloddin Khanjani, Herr Afif Naeimi, Herr Saeid Rezaie, Herr Behrouz Tavakkoli und Herr Vahid Tizfahm - in Gefangenschaft. Die beiden Frauen und fünf Männer wurden nur aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die etwa 300.000 Baha'i stellen im Iran die größte nichtislamische Minderheit dar, sind jedoch praktisch rechtlos.

Die Situation der Kurden

Widersprüchlich ist die Lage der Kurden im Iran. Das Siedlungsgebiet der Kurden dort umfasst die vier Ostanan (Provinzen) Kermanschah, Ilam, Westaserbaidschan sowie Kordestan im Westen des Landes und hat mit seinen zehn Millionen Einwohnern eine Gesamtfläche von ca. 125.000 Quadratkilometern. Fast 98% der iranischen Kurden bekennen sich zum Islam. 75% von ihnen sind Sunniten, 25% Schiiten.
Man betont im Iran gerne die gemeinsame Abstammung von den Persern und Kurden. Die Perser und die Kurden sind historisch, sprachlich und kulturell verwandt. Die Mehrheit der Kurden, auch außerhalb des Iran, gehört allerdings nicht dem schiitischen, sondern dem sunnitischen Islam an. Trotz der kulturellen und der sprachlichen Verwandtschaft mit den Persern entwickelten die Kurden eine starke nationale Identität. In Iranisch-Kurdistan wurde die erste Kurdische Republik gegründet.
Auch wenn man die Verfolgung der Kurden im Iran nicht mit deren Verfolgung etwa in der Türkei, wo selbst die ethnische und sprachliche Existenz der Kurden in Frage gestellt wurde und eine vollständige sprachliche und kulturelle Ausrottung der Kurden das Ziel war, nicht vergleichen kann, waren die Kurden im Iran doch stets diskriminiert.
In den mehrheitlich kurdischen Regionen des Iran kam es zuletzt Anfang Mai 2015 zu heftigen Protesten gegen die Mullah-Herrschaft in Teheran. Auslöser der Proteste war die versuchte Vergewaltigung einer Kurdin aus der Stadt Mahabad im Nordwesten des Iran. Das 25 Jahre alte Opfer kam dabei zu Tode. Die junge Frau arbeitete als Zimmermädchen in einem Hotel. Sie wollte einem Bediensteten der iranischen Behörden entkommen, der versucht haben soll, sie zu vergewaltigen, und stürzte aus dem vierten Stock des Hotels in den Tod. Kurdische Aktivisten aus Mahabad sprachen von einem feigen Mord. In vielen Städten der mehrheitlich kurdischen Region des Iran kam es zu Protesten, die zum Teil gewaltsam aufgelöst wurden. In sozialen Medien entstand eine gewaltige Welle von Solidaritätsbekundungen mit der jungen Kurdin. "Wir sind alle Farinaz! Das ist der Ruf nach Freiheit für alle Menschen in Kurdistan und im Iran", war zu lesen.
Für die IRI stellt das Atomabkommen mit den sechs Weltmächten unter Umständen eine der bedeutendsten Entwicklungen der letzten Jahre dar. Das Abkommen ist eine gewaltige Wende für die Wirtschaft und für die Kooperation der IRI mit westlichen Staaten, aber auch mit Russland, China und Indien. Die Aufhebung der UN-Sanktionen gegen den Iran machte den Weg frei für mehr Wachstum und wirtschaftliche Entwicklung.
Ob eine verbesserte Wirtschaftssituation mehr Menschen- und Minderheitenrechte mit sich bringen wird, ist noch offen. Gewiss werden alle Menschen im Iran von einem Wachstum der Wirtschaft und von einer Öffnung des Landes profitieren. Es besteht jedoch kein Automatismus zwischen einer ökonomischen Entwicklung und der Besserung der Menschen- und Minderheitenrechte in der IRI. Die Lage der Minderheiten im Iran ist auch von dem regionalen "schiitisch-sunnitischen Konflikt" abhängig. Die Rivalität mit den sunnitischen Mächten Türkei und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten, hat auch auf die inner-iranischen Entwicklungen Auswirkungen.
Die Antwort auf die Eingangsfrage, ob eine Demokratisierung der Islamischen Republik Iran möglich sei, ist weitgehend von der Lage der Menschen- und Minderheitenrechte abhängig. Und ein Kriterium hierfür ist durchaus die Lage der verfolgten Baha'i und der "Neuen Christen".

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