Im Vielvölkerstaat Iran werden Minderheiten diskriminiert und verfolgt
Am 26. Februar 2016 fanden in der Islamischen Republik Iran (IRI) Parlamentswahlen statt. Von etwa 77 Millionen Iranern waren rund 55 Millionen wahlberechtigt. Seit dem Sturz des Schah-Regime im Jahre 1979 wählten die Iraner zum zehnten Mal ein neues Parlament.
Wie viele Menschen tatsächlich an die Wahlurnen gegangen sind, ist nicht bekannt. Offizielle Stellen sprechen von einer Wahlbeteiligung von über 70%, diese Angaben können jedoch nicht überprüft werden. Nach meinen persönlichen Gesprächen mit Kurden aus dem Iran wurde deutlich, dass in mehrheitlich kurdischen Gebieten nur sehr wenige zur Wahl gingen. Von den 290 vorgesehenen Sitzen seien 95 bis 98 an die sogenannten "Reformer" um den Staatspräsidenten Hassan Rohani gegangen. Die Konservativen, die den rehber-ê ênghêlab (Oberste Religionsführer) Ajatollah Ali Chamenei unterstützten, hätten 103 Mandate erhalten. 15 Sitze sollen die "Unabhängigen" gewonnen haben.
Vor allem in den "nicht-persischen Regionen", wie in Iranisch-Kurdistan im Nordwesten des Landes, treten Angehörige der ethnischen und religiösen Minderheiten als unabhängige Kandidaten zur Wahl an. Nach einer Quotenregelung erhielten die Assyrer/Chaldäer, Armenier, Zoroastrier und Juden nach bisherigen Ergebnissen fünf Sitze im iranischen Madschles (Parlament). Für die Vergabe der restlichen 69 Sitze muss noch eine Stichwahl stattfinden.
Es ist bekannt, dass der Iran ein Vielvölkerstaat ist und die nicht-persischen sowie die nicht-schiitischen Volksgruppen mindestens die Hälfte der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachen. Volksgruppen wie die Aseri, Kurden, Araber (Ahwazi), Belutschen, Turkmenen, Assyrer/Chaldäer, Armenier, Juden, Zoroastrier, Baha'i sowie andere kleinere ethnische und religiöse Minderheiten werden im Iran nicht als eigenständige Volksgruppen mit eigener Sprache, Religion und Kultur anerkannt. Sie alle erfahren mit unterschiedlicher Intensität Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung.
Gruppen, allen voran Baha'i und die sogenannten "Neuen Christen" (Konvertierte) sowie Individuen mit von der Staatsreligion des schiitischen Islam abweichenden Weltanschauungen werden nicht selten willkürlich beschuldigt, Spione ausländischer Mächte zu sein und zu Staatsfeinden erklärt. Auch Derwische, Yaresan und Sunniten werden oft als nicht korrekte Muslime angesehen und diskriminiert.
Die Grundlage für diese gruppenspezifische Benachteiligung und Herabwürdigung ist ein in der iranischen Verfassung verankerter Grundsatz, der eine vollständige Übereinstimmung aller gesetzlichen Anordnungen mit dem islamischen Recht, dem schiitischen Islam, festschreibt.
Auch die Verhängung und Vollstreckung von immer mehr Todesstrafen und die langjährige Inhaftierung Oppositioneller beruhen oft auf dieser Grundlage. So soll jeder Iraner - ob Perser, Kurde, Ahwazi, Belutsche, Aserbaidschaner, Turkmene, Baha'i oder Christ - die Macht des Systems in Teheran spüren. Keiner soll es wagen, die Macht der Mullahs in Frage zu stellen. Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) ist die Zahl der Hinrichtungen nach Amtsantritt von Präsident Hassan Rohani Anfang August 2013 um 20 Prozent gestiegen.
Verfolgung von Minderheiten
Den Vereinten Nationen zufolge wurden 2014 im Iran mindestens 753 Menschen hingerichtet. Im ersten Quartal 2015 waren es bisher schon mindestens 252. Es könnten aber sogar deutlich mehr sein, denn die meisten Exekutionen werden geheim vollzogen. So wurden 2014 offiziell nur 268 Exekutionen bekannt gegeben. 13 der Hingerichteten waren noch minderjährig.
Auch Mitglieder ethnischer Minderheiten werden Opfer geheim vollzogener Hinrichtungen. Zwischen Juli und Oktober 2013 wurden 27 Belutschen hingerichtet. Im Oktober und November des gleichen Jahres wurden drei Kurden exekutiert, weil sie angeblich eine "Gefahr für die nationale Sicherheit" darstellten. Zuletzt wurden Anfang März 2015 sechs Kurden erhängt. In allen Fällen wurden noch nicht einmal die Anwälte über die Hinrichtungen informiert.
Mindestens 895 Menschen saßen nach Angaben iranischer Menschenrechtsaktivisten im Januar 2014 aus politischen Gründen im Gefängnis. 379 von ihnen hatten sich politisch engagiert, 292 waren aufgrund religiöser Aktivitäten zu Haftstrafen verurteilt worden. 92 waren Menschenrechtler, von denen sich 50 Personen ausdrücklich für die Rechte ethnischer Minderheiten eingesetzt hatten, 71 Bürgerrechtler, 37 Journalisten und Blogger sowie 24 Studentenaktivisten. Mindestens 301 dieser Gefangenen gehörten religiösen Minderheiten an: 136 Inhaftierte waren Baha’i, 90 Sunniten, 50 Christen, 19 Derwisch-Muslime, vier Yarasan und zwei Zoroastrier.
Im Jahr 2015 ging die Verfolgung der "Neuen Christen", die besonders im Fokus der iranischen Behörden stehen, unvermindert weiter. "In den letzten fünf Jahren wurden fast alle christlichen Gemeinden geschlossen, die ihre Gottesdienste in Farsi gehalten hatten, und die Leiter der Gemeinden wurden verhaftet… Mindestens 108 Christen wurden bis November 2015 verhaftet und/oder kamen ins Gefängnis".
Die Lage der "Neuen Christen" im Iran ist nur mit der der Baha'i-Minderheit zu vergleichen. Im Gegensatz zu den altansässigen Christen wie den Assyrern/Chaldäern und Armeniern sind die "Neuen Christen" und Baha'i im Iran "vogelfrei":
Regierungsnahe Medien wie die Teheraner Tageszeitung "Keyhan" veröffentlichen im Rahmen gezielter Kampagnen diffamierende Berichte über die Baha'i und ihre Religion. Von Menschenraub und rituellen Bluttaten an Kindern ist darin die Rede. Mehr als 6300 solcher Veröffentlichungen, die Hass gegen Baha'i schüren sollen, sind seit dem Amtsantritt von Präsident Rohani in den staatlichen Medien erschienen.Deutschlandfunk
Seit dem 14. Mai 2008 sitzen sieben Mitglieder des ehemaligen informellen Führungsgremiums der iranischen Baha'i - Frau Mahvash Sabet, Frau Fariba Kamalabadi, Herr Jamaloddin Khanjani, Herr Afif Naeimi, Herr Saeid Rezaie, Herr Behrouz Tavakkoli und Herr Vahid Tizfahm - in Gefangenschaft. Die beiden Frauen und fünf Männer wurden nur aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die etwa 300.000 Baha'i stellen im Iran die größte nichtislamische Minderheit dar, sind jedoch praktisch rechtlos.
Die Situation der Kurden
Widersprüchlich ist die Lage der Kurden im Iran. Das Siedlungsgebiet der Kurden dort umfasst die vier Ostanan (Provinzen) Kermanschah, Ilam, Westaserbaidschan sowie Kordestan im Westen des Landes und hat mit seinen zehn Millionen Einwohnern eine Gesamtfläche von ca. 125.000 Quadratkilometern. Fast 98% der iranischen Kurden bekennen sich zum Islam. 75% von ihnen sind Sunniten, 25% Schiiten.
Man betont im Iran gerne die gemeinsame Abstammung von den Persern und Kurden. Die Perser und die Kurden sind historisch, sprachlich und kulturell verwandt. Die Mehrheit der Kurden, auch außerhalb des Iran, gehört allerdings nicht dem schiitischen, sondern dem sunnitischen Islam an. Trotz der kulturellen und der sprachlichen Verwandtschaft mit den Persern entwickelten die Kurden eine starke nationale Identität. In Iranisch-Kurdistan wurde die erste Kurdische Republik gegründet.
Auch wenn man die Verfolgung der Kurden im Iran nicht mit deren Verfolgung etwa in der Türkei, wo selbst die ethnische und sprachliche Existenz der Kurden in Frage gestellt wurde und eine vollständige sprachliche und kulturelle Ausrottung der Kurden das Ziel war, nicht vergleichen kann, waren die Kurden im Iran doch stets diskriminiert.
In den mehrheitlich kurdischen Regionen des Iran kam es zuletzt Anfang Mai 2015 zu heftigen Protesten gegen die Mullah-Herrschaft in Teheran. Auslöser der Proteste war die versuchte Vergewaltigung einer Kurdin aus der Stadt Mahabad im Nordwesten des Iran. Das 25 Jahre alte Opfer kam dabei zu Tode. Die junge Frau arbeitete als Zimmermädchen in einem Hotel. Sie wollte einem Bediensteten der iranischen Behörden entkommen, der versucht haben soll, sie zu vergewaltigen, und stürzte aus dem vierten Stock des Hotels in den Tod. Kurdische Aktivisten aus Mahabad sprachen von einem feigen Mord. In vielen Städten der mehrheitlich kurdischen Region des Iran kam es zu Protesten, die zum Teil gewaltsam aufgelöst wurden. In sozialen Medien entstand eine gewaltige Welle von Solidaritätsbekundungen mit der jungen Kurdin. "Wir sind alle Farinaz! Das ist der Ruf nach Freiheit für alle Menschen in Kurdistan und im Iran", war zu lesen.
Für die IRI stellt das Atomabkommen mit den sechs Weltmächten unter Umständen eine der bedeutendsten Entwicklungen der letzten Jahre dar. Das Abkommen ist eine gewaltige Wende für die Wirtschaft und für die Kooperation der IRI mit westlichen Staaten, aber auch mit Russland, China und Indien. Die Aufhebung der UN-Sanktionen gegen den Iran machte den Weg frei für mehr Wachstum und wirtschaftliche Entwicklung.
Ob eine verbesserte Wirtschaftssituation mehr Menschen- und Minderheitenrechte mit sich bringen wird, ist noch offen. Gewiss werden alle Menschen im Iran von einem Wachstum der Wirtschaft und von einer Öffnung des Landes profitieren. Es besteht jedoch kein Automatismus zwischen einer ökonomischen Entwicklung und der Besserung der Menschen- und Minderheitenrechte in der IRI. Die Lage der Minderheiten im Iran ist auch von dem regionalen "schiitisch-sunnitischen Konflikt" abhängig. Die Rivalität mit den sunnitischen Mächten Türkei und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten, hat auch auf die inner-iranischen Entwicklungen Auswirkungen.
Die Antwort auf die Eingangsfrage, ob eine Demokratisierung der Islamischen Republik Iran möglich sei, ist weitgehend von der Lage der Menschen- und Minderheitenrechte abhängig. Und ein Kriterium hierfür ist durchaus die Lage der verfolgten Baha'i und der "Neuen Christen".
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