Dienstag, 14. August 2012


Tod eines Wüstenkriegers

Stammesführer Akbar Bugti: Rebellenführer mit 79 Jahren
Nomaden haben den pakistanischen Rebellenführer Bugti im Wüstensand beerdigt, doch kaum einer durfte seine Leiche sehen. Seine Anhänger glauben an Mord. Tatsächlich könnte der Tod des Kriegers, der einst in Oxford studierte, das Militärregime von Präsident Musharraf ins Wanken bringen.


Islamabad - Die Szene schien unwirklich wie das frühe Morgenlicht, das erst zögernd und dann grell den Friedhof in der Wüste von Belutschistan beleuchtete. Hier, nahe der Lehmfestung Dera Bugti in Belutschistan, senkten heute barfüßige Nomaden einen Sperrholzsarg mit schweren Schlössern in ein Grab - Höhepunkt eines Guerilla-Kriegs und einer Art politischen Karl-May-Geschichte, die seit Tagen Pakistan und dessen 160-Millionen-Volk erschüttert.
Auf dem Weg in den Krieg: Bugti litt an schwerer Arthritis und musste mit dem Kamel reiten
Denn in dem Sarg, den Soldaten bewachten, befand sich die Leiche des Stammes- und Rebellenführers Akbar Bugti, der vorigen Samstag in einer Höhle starb - entweder durch den Beschuss durch Kampfhubschrauber oder bei einer Explosion im Innern der Höhle.
Genaues weiß die Regierung in Islamabad angeblich bis heute nicht, und auch eine dritte Version machte die Runde.

Danach waren Minen explodiert, mit denen der 79 Jahre alte Bugti und drei Dutzend seiner Stammeskrieger das Versteck vor dem Zugriff durch das Militär gesichert hatten.
Versteck in den Bergen: Nach der Explosion stürzte in Bugtis Höhle die Decke ein
Der greise Kämpfer jedenfalls war so gestorben, wie er sich das immer schon gewünscht hatte: "Besser schnell in den Bergen als langsam im Bett." Und mit seinem Tod hat der sogenannte Tiger von Belutschistan erreicht, dass er als Märtyrer in die Geschichte seiner Heimat eingeht, die mit ihren Wüsten, Talschluchten und Tafelbergen fast so groß ist wie Deutschland.
Trauergemeinde in Quetta: Zehntausend Belutschen waren im Cricket-Stadion aufmarschiert,
um ihres Stammesfürsten zu gedenken
"Der gefährliche Cocktail könnte in die Luft gehen"
Seit dem Jahr 2000 führte Bugtis Stamm der Bugti, unterstützt von Kämpfern der Nachbarstämme Marri und Mengal, einen unerklärten Krieg gegen die Zentralgewalt von Pervez Musharraf, dem Militärpräsidenten Pakistans. Nun meinen Kenner des Konflikts, dass der Tod Bugtis nichts Gutes bedeute. "Es wird nur weiteren Aufruhr geben und das in einem Land mit nuklearen Waffen, in dem Terroristen umherrennen.
Protest in Karatschi: Auch in der Nachbarprovinz Sindh kam es zu schweren Unruhen
Bald könnte der gefährliche Cocktail in die Luft gehen", meint etwa Patrick Cronin, Pakistan-Analytiker am Internationalen Institut für Strategische Studien in London.

Dabei gelten den Turbankriegern der belutschischen Stämme Begriffe wie Ehre und Mut mehr als Atomwaffen - bisher jedenfalls. Sie verlangen, dass Belutschistan an den Reichtümern der Großprovinz beteiligt wird - an Öl und 765 Milliarden Kubikmetern Erdgas, die sich unter den Wüstenböden befinden und dazu ausgedehnte Vorkommen an Kupfer und Zink in den Bergen.

Die Forderung nach einem höheren Anteil an den Nutzungsgebühren der Rohstoffe ist auch nach Ansicht von Diplomaten in Islamabad nicht unberechtigt. Denn Belutschistan ist zwar dramatisch schön und wild, aber auch arm und rückständig wie kein anderer Teil des Halbmond-Landes Pakistan.

Wasser ist rar und nur mit Glück genießbar, und Elektrizität ist den Lehmgebäuden der Belutschen so selten wie Schulen und Hospitäler in den Dörfern.

Wenig Arbeit, in der Ziegelei oder Drogengeschäft
Arbeit gibt es praktisch nur in Lehmziegelfabriken und beim Abwracken alter Öltanker an der Küste zum Arabischen Meer - und Illegale, beim Begleiten von Karawanen mit Haschisch und Heroin aus dem benachbarten Afghanistan.

Dafür aber boomt die Förderung von Erdgas in den Feldern südlich Dera Bugtis. Sie versorgen 60 Prozent der pakistanischen Haushalte - doch die Techniker des Konzerns Sui Gas kommen, ähnlich wie die Offiziere des Musharraf-Militärs, aus der bevölkerungsreichsten Provinz Pakistans, dem Pandschab und dessen Hauptstadt Lahore.
All das wollte der greise Stammesführer Akbar Bugti ändern, dem es an politischer Erfahrung nicht fehlte.

Er war, anders als etwa die primitiven Warlords in Afghanistan, weit gereist und ein Mann breiter Belesenheit. Sein Großvater war noch von Königin Victoria in den Ritterstand erhoben worden, und der junge Bugti studierte in Oxford.
1953 war er bei der Krönung der gleichfalls jungen Königin Elizabeth dabei, besuchte danach West-Berlin und dort gleich ein Tanzcafé, wo der fesche Belutsche das Wort "Damenwahl" in seinen deutschen Sprachschatz aufnahm.

Bugti wurde Gouverneur Belutschistans und dann, mit 29 Jahren, sogar Verteidigungsminister Pakistans. Um die Anliegen des unterentwickelten Belutschistan in der Hauptstadt Islamabad vertreten zu können, gründete er die Organisation Jamhoori Watan (deutsch: Republikanische Nationalpartei) und zog als deren Abgeordneter ins Parlament ein.

"Regierung handelt wie Kolonisatoren"
Doch der Politiker aus dem archaischen Belutschistan kam beim Militär und dessen starkem Mann Pervez Musharraf nicht an. Der nämlich will die Gasprovinz noch mehr entwickeln und für ausländische Investoren interessant machen - vor allem für solche aus China, die am Arabischen Meer einen Ölhafen erbaut haben und aus dem Fischerdorf Gwadar eine Boomstadt machten.

Von dort würden sich bald Pipelines nach Zentralasien und in das autonome Gebiet Xinjang erstrecken, die "das achte und neunte Weltwunder" bedeuten würden, sprach Musharraf vor kurzem.
Viele Belutschen fürchten jedoch, dabei den Kürzeren zu ziehen, weil die Aufträge an fremde Firmen gehen und Islamabad auch noch begann, Militärstützpunkte anzulegen.

"Die Regierung handelt wie Kolonisatoren", meint in der Belutschistan-Haupstadt Quetta Oppositionschef Kachkol Ali. "Sie will nur unsere Ressourcen."

Obwohl die Belutschen in Islamabad politisch durchaus Zuspruch fanden, wurden ihre Wünsche doch nur in Ausschüsse und Unterausschüsse verwiesen. Und so kam es, wie auch schon mehrfach in der Vergangenheit, zu Aufständen und dann schließlich zum Guerilla-Krieg.

Akbar Bugti zog auf einem Kamel in die Schlacht und sprach dabei als stolzer Wüstenkrieger: "Sie sagen, ich sei störrisch, aber in Wirklichkeit verbeuge ich mich nicht vor ihnen." Als Knackpunkt, der einen Kompromiss unmöglich machte, erwies sich schließlich im Dezember letzten Jahres ein Besuch Musharrafs in Belutschistan.

Bugtis Rebellen schossen eine Luftabwehrrakete auf den Hubschrauber des Präsidenten ab, die ihr Ziel knapp verfehlte. Sie beschädigte einen zweiten Hubschrauber, in dem sich ein anderer General befand und erzwang eine Notlandung.

Kriegserklärung von höchster Stelle
"Sie werden gar nicht wissen, was sie plötzlich getroffen hat", lautete prompt die Antwort von Musharraf - eine Kriegserklärung von höchster Stelle an den greisen Widersacher Bugti und an die anderen aufsässigen Stämme.

Bis dahin waren in Belutschistan bereits 600 Bomben explodiert. Die Aufrührer griffen Pipelines und die Gasfelder von Sui an. Sie zerstörten Gleise der Eisenbahn und beschossen Baracken der Streitkräfte mit Raketen.

Das Militär schlug zurück und erbeutete tonnenweise Sprengstoff, Tausende Kalaschnikows und - erstaunlicherweise - 25 Luftabwehrraketen. Pakistan vermutet, dass die Waffen aus Indien stammen - und dass Bugti-Kämpfer in Afghanistan trainieren.
Mit dem Tod des alten Bugti ist das am Ende ungleiche Duell entschieden worden. Sicher ist aber auch das nicht, denn schon bei der Trauerfeier für den Alten in der Höhle kam es in Quetta zum Aufruhr, skandierten junge Belutschen "Tod für Pakistan" und "Tod der pakistanischen Armee".

Womöglich habe die Regierung Musharraf einen Fehler gemacht, der sich als "monumental" erweisen könne, schrieb die englischsprachige Tageszeitung "The Nation".

Andere Blätter erinnerten an das Jahr 1971, als das damalige Ost-Pakistan und heutige Bangladesch vom Mutterland abfiel. Auch die im Exil lebende Ex-Premierministerin Benazir Bhutto hält es für möglich, dass das Land unter dem Regime Musharrafs auseinander fällt.
Beisetzung mit Militär: Nur der Mullah und der Ortsvorsteher sahen die Leiche
Ein dunkles Kapitel war jedenfalls die Beisetzung von Bugti. Bis auf einen Mullah und den Ortsvorsteher durfte niemand den Toten in der Sperrholzkiste sehen. Und anders, als es die Familienangehörigen gewünscht hatten, wurde ihr Oberhaupt nicht in Quetta, sondern im fernen Wüstensand verscharrt. "Sie wollen damit nur einen kaltblütigen Mord vertuschen", gab entrüstet Bugtis Sohn Jamil zu Protokoll. Sein Vater, das jedenfalls steht jetzt schon fest, wird als Legende weiterleben.
Bugtis Beisetzung: In einem Holzsarg unter die Erde

http://www.spiegel.de/politik/ausland/pakistan-tod-eines-wuestenkriegers-a-434758.html

Von Joachim Hoelzgen

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